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Die 15-Minuten-Stadt: Eine Analyse aus Sicht der verschiedenen Nutzergruppen

Welche Bedürfnisse haben Menschen an die 15-Minuten-Stadt und wie unterscheidet sich dies für verschiedene Nutzergruppen? Wir haben vier exemplarische Analysen durchgeführt.
By Alva Zakariasson
Die 15-Minuten-Stadt: Eine Analyse aus Sicht der verschiedenen Nutzergruppen
Inhaltsübersicht

15-Minuten-Stadt

Die 15-Minuten-Stadt steht heute im Mittelpunkt des Erreichbarkeits-Paradigmas in der Stadtplanung. Im Gegensatz zur traditionellen Herangehensweise, die darauf abzielt, Straßen auszubauen, sobald die Verkehrskapazität erschöpft ist, zielt die 15-Minuten-Stadt darauf ab, die alltäglichen Bedürfnisse und Ziele der Bewohner näher an sie heranzubringen. Es geht darum, dass Menschen ihre wichtigsten Einrichtungen und Aktivitäten innerhalb von 15-Minuten zu Fuß, mit dem Fahrrad, oder dem ÖPNV erreichen können.

Ein komplexer Aspekt dieses Konzepts ist die Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen. Da nicht alle Menschen die gleichen Alltagsbedürfnisse haben, ist es von großer Bedeutung, dass Stadtplaner:innen einen weiten Blick auf die vielfältigen Gruppen in der Gesellschaft haben. Indem sie die Bedürfnisse und Lebensumstände verschiedener Bevölkerungsgruppen verstehen und einbeziehen, können sie eine inklusive und lebenswerte 15-Minuten-Stadt gestalten, die den Anforderungen und Wünschen aller Bewohner:innen gerecht wird.

Die vier Komponenten der Erreichbarkeit

In der Wissenschaft wird in diesem Kontext von den vier Komponenten der Erreichbarkeit gesprochen (Geurs and van Wee 2004): Flächennutzungs-Komponente, Transport-Komponente, Zeitliche Komponente und Individuelle Komponente.

Jede dieser Komponenten spielt eine wesentliche Rolle bei der Bewertung und Analyse der Erreichbarkeit und ermöglicht es, die verschiedenen Aspekte und Einflussfaktoren besser zu verstehen (Geurs and van Wee 2004). Wie bereits erwähnt, besteht eine wichtige Herausforderung bei der Umsetzung der 15-Minuten-Stadt und der Erreichbarkeitsplanung darin, die individuellen Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen angemessen zu berücksichtigen. Oft wird diese individuelle Komponente jedoch in Analysen vernachlässigt (Merlin and Jehle 2023).

Um Bürger:innen die Durchführung von individuellen, auf ihre Bedürfnisse abgestimmten, Erreichbarkeitsanalysen zu ermöglichen, haben wir Map4Citizens entwickelt. In Map4Citizens kann auf einer interaktive Webkarte ein personalisierter 15-Minuten-Score kalibriert und angezeigt werden. Somit können die Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen visualisiert und die individuelle Komponente der Erreichbarkeit veranschaulicht werden. Mit Map4Citizens haben Nutzergruppen beispielsweise die Möglichkeit, zu identifizieren welches Wohngebiet ihre Erreichbarkeitsbedürfnisse am besten abdeckt.

Exemplarische Analysen für 4 Nutzergruppen

Wir haben Erreichbarkeitsanalysen für vier exemplarische Nutzer:innen durchgeführt: eine Familie, ein Student, eine Seniorin und ein Ehepaar ohne Kinder. Je nach Nutzer:in wurden entsprechende Bedürfnisse zugeordnet und in einer “Flower of Proximity” (cf. Büttner et al. 2022) visualisiert. Diese zeigt auf, wie wichtig den Personen die Nähe zu verschiedenen Points-of-Interests (POIs), z.B. Bildungseinrichtungen, Einkaufsgelegenheiten und Mobilitätsoptionen, sind. Jedes Blütenblatt bildet dabei eine Themenkategorie ab. Je dunkler die Farbe, desto mehr POIs sind für die Nutzergruppe in dieser Kategorie wichtig und je kleiner das Blütenblatt, desto näher möchten die Nutzer:innen die POIs an ihrem Zuhause haben.

Die Familie

Die Familie legt Wert auf gut erreichbare Bildungseinrichtungen und Spielplätze, nutzt gelegentlich Cafés, hat aber keine ausgeprägte Restaurantpräferenz. Sie haben ein eigenes Auto aber wünscht sich eine nahegelegene Bushaltestelle und weitere Mobilitätsoptionen. Da die Zeit knapp ist, sollte ein Fitnessstudio innerhalb von 10 Minuten vom Wohnort aus erreichbar sein.

Flower of Proximity für die Familie

Der Student

Der Student ohne eigenes Fahrzeugt legt Wert auf die Nähe zu ÖPNV-Stationen und die Verfügbarkeit von Bike- und Carsharing-Stationen. Er lernt in Cafés und besucht gerne Bars mit seinen Freunden. Er ist Vegetarier, eine Metzgerei steht daher nicht auf der Prioritätenliste.

“Flowers of Proximity” für Der Student

Die Seniorin

Die Seniorin benötigt keine Bildungseinrichtungen, möchte jedoch Spielplätze in der Nähe für ihre Enkelkinder, benötigt bequemen Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln und wünscht sich kurze Wege zu Supermärkten, Bäckereien und Metzgern.

“Flowers of Proximity” für Die Seniorin

Das Ehepaar ohne Kinder

Das Ehepaar geht gerne in Restaurants und Cafés, trifft sich freitags mit Freunden in Bars, besitzt ein eigenes Auto, legt Wert auf eine nahe gelegene Geldautomaten, Banken, Tankstellen und Postfilialen, geht gelegentlich ins Kino und ins Museum und ist bereit, mit dem eigenen Fahrrad und Auto auch mal etwas weiter zu fahren.

“Flowers of Proximity” für Das Ehepaar ohne Kinder

Ergebnis: 15-Minuten-Scores

Anhand der “Flowers of Proximity” wurde je Nutzergruppe der 15-Minuten-Score für München berechnet. Er zeigt auf, in welchen Bereichen die individuellen Präferenzen am besten erfüllt werden können. Die grünen Bereiche in der Karte markieren Stadtviertel, welche die Bedürfnisse der Nutzergruppe gut erfüllen, während die roten Stadtviertel die Bedüfnisse weniger gut abdecken.

15-Minuten-Score

Die beiden Nutzergruppen ohne Verkehrsmittel (der Student und die Seniorin) haben in München einen wesentlich kleineren Raum, in dem sie leben und ihre täglichen Bedürfnisse erledigen können. Das Ehepaar ohne Kinder, das bereit ist, die weitestens Entfernungen zu den verschiedenen Zielen zurückzulegen, hat die größte Flexibilität bzgl. des “perfekten Wohnstandorts”.

Es wird auch deutlich, dass je weniger spezifische Bedürfnisse eine Gruppen hat, desto höher ist der 15-Minuten-Score in mehreren Stadtteilen.

Referenzen

Büttner, Benjamin et al. (2022): ‘Urban Mobility Next 9 ±15-Minute City: Human-centred planning in action’, EIT Urban Mobility. Available: https://www.eiturbanmobility.eu/wp-content/uploads/2022/11/EIT-UrbanMobilityNext9_15-min-City_144dpi.pdf

Geurs, K., van & Wee, B. (2004): Accessibility education of land-use and transport strategies: review and research directions. Journal of Transport Geography 12, 127-140. https://doi.org/10.1016/j.jtrangeo.2003.10.005

Louis A. Merlin & Ulrike Jehle (2023): Global interest in walking accessibility: a scoping review, Transport Reviews. https://doi.org/10.1080/01441647.2023.2189323


Alva Zakariasson
Alva Zakariasson
Stadtplanerin

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